Wunsch und Erfüllung
Kann ich nur dichten! – bleibt mir Freiheit nur
Tagtäglich meinen Schritt in die Natur
Nach Herzenslust zu richten;
Kann ich nur lagern mich auf luft‚gen Höhn,
Am Leben mich des reichen Tals zu weiden,
Mich an belebten Strömen nur ergehn,
So werd‘ ich keinem seinen Stand beneiden.
Kann ich nur dichten! – Hab‘ ich nur ein Haus
An eines Hügels sanften Hang gelehnet,
So dass ein weites Tal sich vor mir dehnet,
Wo ich nach Süd und Westen seh‘ hinaus,
Und hinter mir sich hohe Berge türmen,
Die mich vor kaltem Nord und Ost beschirmen.
Und eine Stadt von Umfang in der Näh!!
Wo möglich Hafenstadt an deutscher See,
Wo Schiffe gehn und täglich Schiffe kommen;
Wo man von Bord zu Bord auf Gondeln fährt,
Und Lebenslust genießend sich belehrt
Von Dingen, die bisher man nicht vernommen.
Wo man sich freut an fremder Sprachen Schall,
Wo man den Neger sieht vom Senegal,
Den Löwen frisch aus afrikan’scher Wüste;
Wo man im Tauwerk über sich das Schrei’n
Von Affen hört und prächt’gen Papagei’n
Fern von Brasiliens hochbewachsner Küste.
Hier, wo zum Geiste redet klar und frisch
Gehäufter Schätze lustiges Gemisch
Der Tier- und Pflanzenwelt aus allen Zonen;
Wo Waffe, Zeug und häusliches Gerät
Lebend’gen Atem uns entgegenweht
Der vielen Völker, die auf Erden wohnen;
Hieher, in dies Kompendium einer Welt,
Wie eines Dichters Sinne sie gefällt,
Wär meine Lust, mich dann und wann zu mischen;
Um, wenn in Einsamkeit ich viel gedacht,
Und lang und mühsam schweres Werk vollbracht,
Mein Innres hier von neuem zu erfrischen.
Kann ich nur dichten! Wenn mir nur gelingt,
Wonach mein Geist mit allen Kräften ringt,
Das Leben recht im Kerne zu erfassen;
Und hinzustellen es, natürlich, frei,
Ohn allen Prunk und falsche Rednerei,
Leicht, Zug für Zug in einfach ruh’gen Maßen.
Dann mit der Liebsten leben! welch ein Glück!
Und jedes Tags gegönnten Augenblick
In stets erneuter Wonne zu genießen! –
Was immer käm‘, nicht ständ‘ ich mehr allein;
Sie würde alles – Freund und Trost mir sein,
Die schwersten Stunden würde sie versüßen.
Zuletzt, dass alles sei, wie sich’s gehört,
So müssten Kinder mir auch sein beschert,
Ein lieblich Mädchen und zwei muntre Knaben.
Denn unbefriedigt bleibt der beste Mann,
Wenn er nicht Weib und Kind umschließen kann;
Sein Lebensschiff will richt’ge Ladung haben.
Dann lass mich dichten! Ja nur immer zu!
Wie’s treibt im Geiste, ohne Rast und Ruh,
Und mich ergehn auf unbetretnen Bahnen.
Lass Jahr auf Jahr, wie mich ein Gott beseelt,
Hinaus mich bilden meine innre Welt,
In Bühnenstücken und Romanen.
So dacht‘ ich einst, an Kraft und Hoffnung voll,
Als jugendfrisch mir Lied auf Lied entquoll,
So schrieb ich einst vor mehr als dreizehn Jahren.
Wie wenig, ach! hat sich seitdem erfüllt! –
Wie blieb der Seele Durst mir ungestillt!
Wie auch bescheiden meine Wünsche waren.
Wonach ich strebte, ward mir nicht zuteil, –
Mir aufgedrungen ward, was nicht zum Heil,
Und was mit aller Macht ich wollte meiden.
So schloss verdrießlich Jahr dem Jahr sich an,
Mich schleppend fort auf unwillkommner Bahn,
Bei wen’gem Glück und einem Heer von Leiden.
Ich hab‘ indes ein gut Stück Welt gesehn,
Erfahren hab‘ ich, wie die Winde wehn,
Wie sanft sie schmeicheln, wie sie tückisch blasen! –
Ein holder Knabe lacht auf meinem Knie, –
Doch steht mein Haus verwaiset; – sie, ach sie!
Die treu ich liebte – deckt der Rasen.
Doch nichts von ihr, die sanft in Frieden ruht;
Sie war für jedes ird’sche Lob zu gut,
Nur schweigend kann ich würdig sie verehren.
Gäb es auch andre, die so gut, so schön,
Doch um mein Liebesglück ist es geschehn,
Kein zweites Herz kann so mir angehören.
Ins Leben denn! zu fortgesetzter Tat!
Darin allein für mich ist Trost und Rat;
Das andre bleibe mir im Rücken. –
Doch denk‘ ich jenes Tags, den ich genoss
Im Paradiese, das der Tod verschloss,
So kommt die Wehmutsträne meinen Blicken.
Mag immerhin sie fließen! – Fließt sie doch
Dem schönen Leben, das noch allen log.
So lang‘ wir Kinder, lächelt es gewogen;
Anmut’ges Bildwerk zeigt es uns von fern,
Wir streben nach, als wär’s der treuste Stern,
Wir kommen hin – und fühlen uns betrogen.
Wie träumt ich kühn im Jugend-Hoffnungsschein
Einst meinem Vaterlande viel zu sein, –
Und ach, wie wenig nur ist mir gelungen!
Dies Wenige – wie lange hält es stand!
Der Düne gleicht’s am wilden Meeresstrand,
Die bald von andern Dünen ist verschlungen.
Doch muss ich weiter! – Hier ist keine Wahl!
Den Dichter, sei’s zum Glück ihm, sei’s zur Qual,
Treibt sein Talent, nach Weise der Dämonen,
Tyrannisch; – es verscheucht den Schlaf bei Nacht,
Und hält nicht Ruhe, bis ein Werk vollbracht,
Ob’s ihn zerstöre – da ist kein Verschonen.
Drum immer weiter! – Wird im Vaterland
Mein Name von den Besten nur genannt,
Wenn auch zu Ruhmesgipfeln nicht erkoren;
Bewirk‘ ich durch mein schlichtes Lied und Wort
Ein freundlich Wiederklingen hier und dort,
So halt‘ ich Müh‘ und Streben unverloren.
Johann Peter Eckermann