Gedichte von Vagif Bayatly Oder, Bauingenieur, 1948 in Dschabrayil geboren, einem Bezirk in Karabach, der heute von Armenien militärisch besetzt ist. Vagif hat zahlreiche Werke ins Aserbaidschanische übersetzt, darunter einige der berühmtesten österreichischen, englischen, schottischen, italienischen, norwegischen, türkischen und russischen Dichter, wie Rainer Maria Rilke, Thomas Eliot, Robert Burns, Boris Pasternak, Anna Achmatowa, Nikolaj Gumiljow und Osip Mandelstam.
Mehr als alle anderen
Ich kann nicht der stärkste Mann der Welt sein,
noch will ich das sein.
Ich will nicht, dass jemand Angst vor mir hat.
Ich kann nicht der reichste Mann der Welt sein,
noch will ich das sein.
Für mich ist der größte Reichtum auf der Welt,
ist ein kleines Zelt mit einem lächelnden Gesicht und lachenden Augen, mit einer offenen Tür und offenen Fenstern!
Ich kann dich nicht mehr lieben als irgendjemand sonst auf der Welt,
noch will ich dich so lieben.
Denn nur die, die unaufrichtig lieben
lieben mehr als alle anderen.
Ich will dich leise und sanft lieben,
Ich will dich so lieben, wie es Gott bestimmt hat,
Wie ein kleiner Vogel, der sich an die winzige Ecke seines Nestes geschmiegt hat.
Vagif Bayatly Oder
Kinder und Briefe
Die größten Augen der Welt
Gehören den Blumen und den Kindern.
Am unverständlichsten für Erwachsene sind die Worte,
die Kinder den Blumen zuflüstern,
Und Blumen zu Kindern.
Für Kinder,
ist ein Spiegel ein wunderbarer Teller voll Wasser,
Alles ist lebendig,
Alles ist für Kinder lesbar
Denn ihre Herzen sind groß
wie ihre Augen,
Kinder schreiben
Den Namen von allem
In großen Buchstaben.
Während ihre Finger, die den Stift halten
werden größer und stärker,
So wie die Kinder selbst
Größer und stärker werden,
werden die Buchstaben, mit denen sie schreiben
kleiner werden,
Und die Blumen sprechen zu ihnen
Auch in einer unverständlichen Sprache.
Vagif Bayatly Oder
Ich mache Blumen aus Menschen
Ich möchte an den Menschen riechen wie an einer Blume,
aus Menschen Blumen machen.
Aber sie wollen sich nicht in Blumen verwandeln
Also mache ich Menschen aus Blumen.
Die Menschen sagen, dass kein Mensch aus einer Blume geschaffen werden kann,
Gott hat die Menschen aus Lehm gemacht
Du solltest sie auch aus Lehm machen.
Ich mache Menschen aus Lehm,
ich rezitiere Gedichte und
schreibe Gedichte für sie,
Aber es ist kein Gedicht
dass sie von mir wollen,
Es sind Blumen aus Ton, die die Menschen aus Ton wollen,
Ich mache Tonblumen für sie,
Tonjungen bringen die Tonblumen zu Tonmädchen.
Wenn sie die Tonblumen sehen,
gebären Lehm-Frauen Lehm-Babys.
Vielleicht liebt Gott den Geruch von Lehm,
und deshalb erschafft er immer wieder Menschen aus Lehm.
Aber, mein Gott, es ist nicht der Geruch von Lehm
den ich will,
Ich will den Geruch einer Blume,
Also mache ich wieder einmal Menschen aus Blumen,
Ich mache Blumenpfade, Blumenhäuser für sie,
Ich mache Blumentränke für Blumendichter,
Blumengefängnisse für Blumengefangene,
Aber sie sagen wieder
Wir wollen nicht, dass sie aus Blumen gemacht werden,
Gott hat alles aus Lehm gemacht,
also solltet ihr auch uns aus Lehm machen,
Ich sage ihnen: „Stopp“,
Zum letzten Mal wenigstens
Lass mich an dir riechen wie an einer Blume
Bevor du dich in Lehm verwandelst.
Ich rieche die Blumen
Zum letzten Mal auf der Welt.
Mein Gott, was hast du mit ihnen gemacht,
Sogar Blumen riechen nach Lehm?!
Vagif Bayatly Oder