Wir wanderten am heissen Maientag.
Zur Rechten blitzend lag ein See, und sonst
In weitem Bogen ward das grüne Feld
Von sonnbeglänztem Tannenwald umzirkt. –
Ein Häuschen dort im hellen Obstbaumgrün,
Ein Ackersmann der seine Furchen zog.
Und hier und da ein Busch – das war die Landschaft.
Wir sprachen mancherlei und achteten
Des Weges wenig.
Plötzlich sah ich auf:
Sieh da, ein Mädchen an des Gartens Rand
Leicht an ein spärlich Bäumlein angelehnt,
So stand sie da und blickte träumerisch
Mit blauen Augen in die blaue Ferne.
Kaum sechzehn Jahr! Noch hatte diese holde
Die frische jugendblühende Gestalt
Zur vollen Fülle nicht sich ausgerundet.
Auf ihrem Antlitz lags wie zarter Flaum
Der unberührten Frucht. Allein die Augen,
Sie wussten schon von mehr. Es träumte dort
In ihrem halbverhüllten Glanz die Ahnung
Von süss geheimnissvollen Dingen schon.
Sie blickte uns nicht an – nur in die Ferne.
So schritten wir vorbei.
Wie seltsam doch
Traf dieser Anblick an mein Herz und weckte
Dort süsse, längst verlorne Melodiien
Aus einer schönren Zeit. Das Mädchen dort
War meine Jugend. Ja, sie steht am Weg
Und blicket mich nicht an und fragt doch still
„Kennst du mich noch? Und weisst du wohl,
Wie einst auch dir des Glückes Ahnung aufging,
Und wie ein rosenrothes Meer der Wonne
Vor deinen Augen lag?!“
O goldne Zeit!
Heinrich Seidel
Zitate, Gedichte von Heinrich Friedrich Wilhelm Karl Philipp Georg Eduard Seidel (1842-1906) deutscher Schriftsteller und Ingenieur.
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Im goldnen Abendscheine
Ruht dämmernd das Gefild;
Am Waldrand ruh‘ ich, wartend
Auf gar ein lieblich Wild.
Von Ferne ruft der Kukuk
So heimlich rauscht der Wald,
Es schwebt vor meinen Gedanken
Eine wunderschöne Gestalt.
Die Büchse ruhet lässig
In Gras und weichem Klee –
Mich hat in’s Herz getroffen
Selber ein schlankes Reh.
Da rauscht es in dem Laube
Von wunderleichtem Schritt: –
Mein Rehlein kommt gesprungen, –
Bringt neue Küsse mit.
Verstummet ist der Kukuk,
Schwarz ruht des Waldes Rund –
Vom Himmel senkt sich nieder
Eine wunderselige Stund‘.
Es schweigen alle Blätter,
Die Vöglein schweigen all,
Im Rosenbusch alleine
Singt noch die Nachtigall.
Guten Morgen, liebe Großmama!
Nimm dieses kleine Sträußchen da.
Es ist aus unserm Garten!
Wir sollen fragen, wie es steht
und wie es dir seit gestern geht,
und solln auf Antwort warten.
Und was ich sonst noch sagen sollt:
Dass Mutter dich besuchen wollt
heut Nachmittag um dreie.
Und unser Karlchen, denk nur an,
hat wieder einen neuen Zahn.
Nun hat er ja schon zweie!
Und als ich durch den Garten ging,
ja, denke mal, was da wohl hing.
Ich wollt es gar nicht glauben!
Ja, rat nur einmal, was ich fand:
An deinem Weinstock an der Wand,
da sind schon reife Trauben.
Die Trüffel reift in Frankreichs Gauen,
verborgen in der Erde schoß.
Allein für mich, auf märkschen Auen,
wächst die Kartoffel bloß.
Es glänzt verlockend in der Sonne
Böhmens Fasan mit hellem Schein …
Für mich blinkt in des Krämers Tonne
Ein Hering mager nur und klein.
Heinrich Seidel (1842-1906)
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