Mutter und Tochter
Wie rührt ihr mich, seh‘ ich in Blick und Mienen,
Im Wesen euch so ganz einander gleichen;
Die Tochter, von des Frühroths Strahl beschienen,
Der Mutter Stern allmälig im Verbleichen.
Die Tage, die, nach mancher Qual und Reue,
Der blassen Frau gelinder jetzt verrinnen,
Du willst sie, holdes Mädchenbild, auf’s neue
Mit frischer Kraft und frischem Muth beginnen.
Und Jene hält dich nicht zurück von Wonnen,
Die du, sie weiß es, zahlen mußt mit Zähren –
Und so wirst du, vom alten Trug umsponnen,
Das alte Schicksal wiederum gebären.
Wie Viele sind vor euch den Weg gegangen!
Und doch nicht zittern, doch nicht müde werden –
Fürwahr, wem könnte vor Vernichtung bangen,
Ist solche Dauer uns gesetzt auf Erden?
Ferdinand von Saar