Morgenlied
Sollt‘ ich denn allein nicht singen,
Wenn die ganze Schöpfung singt?
Sollt‘ ich dir den Dank nicht bringen,
Den dir, was da lebet bringt?
In den Wäldern, auf den Fluren,
Singt der Vögel waches Chor;
Auch mein Loblied steig‘ empor
Zu dem Vater der Naturen.
Vater bist du, Gott, auch mir;
Was ich habe, kommt von dir.
Sanft schlief ich, nicht Schmerz und Jammer
Nahten meinem Lager sich;
Fern blieb von der stillen Kammer
Seuche, die im Finstern schlich.
Freundlich lachte mir der Morgen,
Strömte Lebenskraft mir zu.
Dich, den Schutzgott meiner Ruh,
Dich, mein Vater, ließ ich sorgen,
Schlief am Abend ruhig ein:
Denn du wachst, und ich bin dein.
Drum sey auch mein neues Leben,
Dir geweiht der junge Tag.
Hilf, daß, was du mir gegeben,
Ich mit Weisheit nutzen mag.
Auch nicht eine seiner Stunden,
Bring‘ sie Freuden oder Schmerz,
Sey, verlohren für mein Herz,
Ohne Spur dahin geschwunden,
Wenn der Tag sich wieder neigt
Und die Schöpfung feyernd schweigt.
August Hermann Niemeyer