Einladung zur Freude
(An die Stadtmädchen)
Noch blühen uns zu Kränzen
Die Blumen auf der Flur;
Noch locken uns zu Tänzen
Die Sänger der Natur.
Noch rieselt uns gelinde
Der kleine Schmerlenbach,
Und die belaubte Linde
Wölbt uns ein Schattendach.
Da stellen sich am Feste
Die jungen Bauren ein
Und schmücken sich aufs beste,
Dem Liebchen wert zu sein.
Sie tanzen, bis ins Trübe
Die Abendröte sinkt,
Und blaß, wie bange Liebe,
Der Mond am Himmel blinkt.
Wohlauf, ihr Städterinnen!
Laßt einen Reihentanz
Mit ihnen uns beginnen,
Pflückt euren Blumenkranz!
Und ziert mit roten Bändern
Das weiße Schäferkleid!
Denn bald wird sich verändern
Die wonnigliche Zeit.
Bald locket uns zur Linde
Kein kühler Schatten mehr;
Bald streifen rauhe Winde
Die Zweige blätterleer;
Die jungen Blumen sinken
Bald unter Reif und Schnee,
Und Perlentropfen blinken
Nicht mehr am weißen Klee.
Bald rauschen uns die Bäche
Nicht mehr, im Gras versteckt,
Wenn ihre Spiegelfläche
Verwelktes Laub bedeckt.
Die Vogel all verstummen,
Der Hain wird liederleer,
Und kleine Bienen summen
Nicht mehr im Gras‘ umher.
Dann eilen nicht mit Kränzen
Von Bux und Rosmarin
Zu frohen deutschen Tänzen
Die Dörferinnen hin.
Um ihre Hütte stürmet
Der rauhe Winter nur,
Und Schneegestöber türmet
Sich auf der nackten Flur.
O kommt! auf euren Wangen
Ist in Aurorens Pracht
Die Jugend aufgegangen,
Und euer Auge lacht.
Schön, wie der junge Morgen,
Ist euer Angesicht,
Und kennt des Alters Sorgen
Und seine Runzeln nicht.
Doch, liebe Städterinnen,
Der Sommer eilt dahin;
Bald wird der Herbst beginnen,
Und jede Freud‘ entfliehn.
Sein kalter Odem scheuchet
Die Freuden weg, und ach!
Mit schweren Schritten keuchet
Der alte Winter nach.
Dann seufzen wir vergebens
Uns jeden Augenblick
Des ungenoßnen Lebens
Mit bangem Ach zurück.
Drum folget mir und weihet
Euch jetzt der Fröhlichkeit!
Und dann, im Winter, freuet
Euch der genoßnen Zeit.
Johann Martin Miller