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    Die Sehnsucht des Weltweisen

    Die fernen Flöten hör‘ ich schallen,
    Der Feierhymnus wogt darein;
    Es wälzt sich zu des Tempels Hallen
    Des Volkes Strom im Morgenschein,
    Der Knaben rothe Fackeln stralen
    Auf weißer Festgewandung Zier;
    Die Priester tragen goldne Schalen,
    Und führen den bekränzten Stier.

    Wohl möcht‘ ich mit den Andern ziehen,
    Und jubeln in des Opfers Rauch;
    Doch auf den Stufen, da sie knieen,
    Umsäuselt mich kein Lebenshauch,
    Der milde Schleier sanken,
    Die mich umfangen lieb und eng,
    Und vor dem siegenden Gedanken
    Erlag der Götter bunt Gedräng.

    Doch wie sich des Olymps Gestalten
    Gleich Träumen lösten nebelhaft,
    Da war es mir, als flöss‘ ihr Walten
    Zurück in Eine heil’ge ,
    Aus allem, was der Tag vollendet,
    Spricht göttlich hoch ein ein’ger Sinn,
    Und meine Seele stürzt geblendet
    Vor dieses Reichthums Füllen hin.

    O du, den ich zu nennen zage,
    Du ew’ger , deß reines
    Noch durch den Dunst der Göttersage
    In tausend spielend bricht!
    Den sie in tausend Bildern ehren,
    Und dem doch nie ein Bildniß glich,
    Du, den ich nimmer kann entbehren,
    Du Einziger, wie fass ich dich!

    Im Weltall sucht‘ ich ohn‘ Ermatten
    Dich zu ergründen voll und ganz,
    Doch Nachts verhüllst du dich im
    Und birgst am Tage dich in .
    Und wenn das Morgenroth mich weckte,
    Und überglüht aus meinem Traum
    Die Hand ich tastend darnach streckte:
    Es war um deines Kleides Saum.

    Wohl ruft der Donner deinen Namen,
    Wohl zeigt der Blitz uns deine Spur;
    Doch, ob sie deine Boten kamen,
    Sie bringen halbe Kunde nur.
    O, was von dir die Dinge stammeln
    Mit dunkelm Deuten fort und fort,
    Wirst du’s, Erhabner, nie versammeln
    In ein lebendig klares Wort?

    Wird nie dein liebender Gedanke,
    Voll Wehmut über unser Leid,
    Herab sich neigen in die Schranke
    Der sehnsuchtbangen Sterblichkeit?
    Wirst nie dein blendend Licht du lassen,
    Dich nah und menschlich kund zu thun,
    Daß wir mit Armen dich umfassen
    Und fromm an deinem Busen ruhn?

    Ach, tief in meiner Seele Grunde,
    Da schläft ein Ahnen wundervoll:
    Der Lauf der Zeiten bringt die Stunde,
    Da solches Heil geschehen soll.
    O selig, denen du dein Wesen
    Dann sichtbar hold entgegensenkst,
    Die du zu himmlischem Genesen
    Aus deines Lebens Adern tränkst!

    Dann wird der Baum der Menschheit grünen;
    Dann werden ihren alten Zwist
    Der und die sühnen
    Durch den, der beider theilhaft ist.
    Ein sanftes Leuchten wird durchdringen
    Des Schicksals unverstandne Pein;
    Das Leben wird den verschlingen,
    Und ein Gesetz der Liebe sein.

    Emanuel Geibel






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