Des Finken Abschied
Es saß ein Fink auf grünem Zweig,
Der war so frisch und blätterreich,
Und sang wohl dies und jenes;
Durch Lenz und Sommer und Herbst er sang,
Hätt da gesungen sein Lebelang,
Wär nicht der Winter kommen.
Der Winter kam mit Saus und Braus:
»Ihr Müßiggänger, zum Reich heraus,
Ihr Flattrer und Sänger und Horcher!
Herab vom Baum, du grünes Blatt!
Zum Bauen und zum Brennen hat
Der Herr das Holz erschaffen.«
Da geht im Hain das Schütteln los,
Und flugs steht alles blank und bloß,
Bis auf den Zweig des Finken.
Jetzt, naseweises Vöglein, flieh!
Mit solcher Staatsökonomie
Da ist nicht viel zu spaßen.
Und ’s Vöglein flog und sang: »Ade!«
Da warf der Winter Reif und Schnee
Ihm hintendrein, und trafs nicht.
Der Finke lacht’ aus voller Kehl:
»Bewahre Gott jede Christenseel
Vor diesem Landesvater!«
Und als ich ’mal nach Welschland zog,
Manch Vöglein mit dem Wandrer flog,
Da war auch jenes drunter:
Und wär’s gewest eine Nachtigall,
So hätt mein Lied einen bessern Schall,
Ich hab’s ihm nachgesungen.
Wilhelm Müller