Der Liebesturm
Die trotzige Klippe trägt den trotzigen Turm
An hundert Jahre, und nicht einen Stein
In diesen Mauern lockerte der Sturm.
Ohnmächtig brüllt das Meer herauf. Im Schein
Der Fackeln, deren roter Qualm in Wind
Hinwirbelt, stehn wir an der Brüstung. Sind
Noch Menschen außer uns auf dieser Welt?
Ich weiß es nicht, will es nicht wissen. Nie
Dringt ihre Stimme her. Das Meer zerschellt
Ihr Schiff. Wenn je da unten einer schrie
In Todesangst, der Schrei ging mit ins Grab,
Ging klanglos in die Tiefe mit hinab.
Der Schrei der Möwen nur schrillt uns ans Ohr:
Zwei Flügel zucken aus der Nacht hervor,
Glühn auf im Qualm der Fackeln, und dann schluckt
Die Nacht sie wieder. Meine Königin duckt
Erschreckt wohl einmal vor dem Schwingenpaar
Den feinen Kopf, um den das lose Haar
Wie lauter schmale, blasse Flammen fliegt.
Und ruht der Sturm und liegt
Das Meer weitum im Frieden aller Sterne,
Tönt manchmal aus der schwarzen Wälderferne,
Die unsere Einsamkeit landein umforstet,
Der Schrei des Falken, der auch einsam horstet,
Das Orgeln eines Hirsches, aber nie
Ein Menschenlaut.
Gustav Falke