Der Kontrast
Im feinen, weißen Spitzenkleide,
Im blonden Haar Kamelienkranz,
Steht heut Madam’, ’ne Augenweide
Macht Toilett’ beim Kerzenglanz.
Vier Hände sind bemüht zu schmücken
Ihr selig lächelnd Angesicht,
Ihr Dies und Jenes recht zu rücken,
Und auch die ihr’gen ruhen nicht.
Sie geht zum Ball’, und dreist ich sage,
Die Frau ist reizend, wunderschön,
Daß sie gefällt ist keine Frage,
Das muß ihr selbst der Neid gesteh’n!
Wenn auch nicht eingehüllt in Flimmer,
So spielt doch ganz dieselbe Szen’
Ihr Herr Gemahl im Nebenzimmer,
Der freilich etwas minder schön.
Sehr fein ist seine Toilette,
Es glänzt der Ring an seiner Hand,
Er putzt die goldene Lorgnette,
Setzt eine Cigarett’ in Brand.
Er ist schon fertig, spricht mit Würde:
»Der Wagen steht für uns bereit,
Du bist sehr schön, genug der Zierde,
Mein Kind, es ist die höchste Zeit!«’
»Wie glücklich bin ich«, – ruft sie leise,
»Auch ich«, – sagt lauter ihr Gemahl,
»Es macht mich Deine Art und Weise
Sehr stolz auf meine gute Wahl!«
»Komm« – sagt er, froh an Faro denkend, –
»Dir alles, alles, herrlich steht«, –
Und seinen Kopf bedenklich senkend –
»Wir kommen wahrlich heut zu spät!«
Nur noch das Halsband von Demanten,
Nur noch die Brosche mit dem Opal,
Das Taschentuch mit den Brabanten,
Den Blütenstrauß und dann den Shawl!
Zu Ende ist die Toilette
In Wahrheit ein possierlich Bild,
Solch’ Torheitseifer um die Wette,
Stets aus beschränktem Geiste quillt.
So jung, so schön, so voller Freuden,
So voller Anmut und so reich,
So eilen nun zum Ball die Beiden,
An Eleganz sich selber gleich.
Die reichen Menschenkindchen träumen
In dem Moment von Unglück nicht,
Da sieh, sich scheu die Rosse bäumen
Vor eines Mannes Angesicht.
Ein armer Mann, die Stirn voll Falten,
Mit stierem Auge, hohler Wang’,
Mit Lippen, dünnen, bleichen’, kalten,
Die schon vertrocknet schienen lang.
Er stand an jener heiter’n Schwelle,
Verhungert und erstarret fast,
Der Mond beschien an jener Stelle
Das Elend unter seiner Last.
»Ich fleh« – spricht er – um ein Almosen,«
Und küßt der schönen Frau die Hand,
Sein schwacher Kuß zerdrückt die Rosen,
Die an des teuren Handschuh’s Rand.
»Mein Freund« – sagt sie mit kalten Mienen,
Erzürnt durch diese Freveltat –
»Ich habe keine Zeit zu Ihnen!
Ob Robert etwa Kleingeld hat?«
Ihr Mann zieht nun den vollen Beutel,
Wie herrlich glänzt darin das Gold!
Doch all sein Suchen war nur eitel,
Denn wen’ges war’s, was er gewollt.
»Halt, halt, gieb Etwas jenem Armen«,
– So herrscht der Herr den Kutscher an –
Des Letzteren Blick fällt voll Erbarmen
Und Grauen auf den armen Mann.
Er greift hinein in seine Taschen,
Vier Groschenstücke sind darin,
Schnell sucht er alle zu erhaschen,
Und wirft sie rasch dem Armen hin.
»Hier, Bruder, sind vier Groschenstücke,
’s ist alles, was ich geben kann.«
»Und« – sagt er sanft, mit feuchtem Blicke:
»Fragt manchmal dort im Giebel an!«
Jetzt rollte fort der rasche Wagen,
Der Kutscher wischt ein Aug’ sich ab:
Er denkt an all’ die großen Fragen,
Die solch’ Kontrast zu lösen gab.
Friederike Kempner