Der Hase und viele Freunde
Wo soll man ächte Freundschaft finden?
Das Lockwort klingt doch gar zu fein,
Und kann, die Herzen zu verbinden,
Der Anlaß schönster Hoffnung sein.
Man pflegt den milden Stein der Weisen
Uns, als ein Wunder, anzupreisen.
Man lehrt, er mache mehr, als reich:
Fürwahr, ihm ist die Freundschaft gleich.
Ein jeder, der in diesen Jahren
Mir ohne Lachen widerspricht,
Ist glücklich, falls er nicht erfahren,
Wie oft man Treu‘ und Glauben bricht.
Wird er den Vorzug nur erwerben,
In diesem süßen Wahn zu sterben;
So soll einst seines Grabes Stein
Der Welt ein seltnes Denkmal sein.
Ein Häschen von beliebten Sitten,
Ein kleines Thier von schneller Kunst,
Erhielt durch Schmeicheln und durch Bitten
Verschiedner Thiere Lob und Gunst.
Die Hasen hatten ja vorzeiten
Weit mehr, als jetzo, zu bedeuten.
Als keiner unsern Stutzern glich,
Da war auch keiner lächerlich.
Er wandte sich zu allen Freunden,
Um ihren Beitritt zu erflehn,
Den Hunden, seinen ärgsten Feinden,
Zu steuren, oder zu entgehn.
Man sprach: Dein Leben zu erhalten
Soll unser Eifer nie erkalten;
Der deinem Balg ein Härchen krümmt,
Dem ist von uns der Tod bestimmt.
Der muntre Hänsel ist zufrieden,
Und schätzt sich großen Hansen gleich.
Die Sicherheit, die ihm beschieden,
Vertauscht er um kein Königreich.
Ihn will so mancher Beistand schützen;
Was darf er nun in Aengsten sitzen?
Nein, unter vieler Starken Hut
Fehlt es auch Hasen nicht an Muth.
Er lebet ohne Noth und Sorgen,
So unverzagt, als ungestört,
Weil sich mit jedem schönen Morgen,
Mit jedem Thau sein Frühstück mehrt.
Sein rascher Lauf verläßt die Wälder,
Durchstreicht die Triften und die Felder,
Wo in beglückter Sicherheit
Ihn Gras und Laub und Frucht erfreut.
Wie oft vergällt erwünschte Stunden
Verhaßter Stunden Ungemach!
Ein Jäger eilt mit schlauen Hunden
Der Spur des armen Hänsels nach.
Hier ist kein Freund, ihm jetzt zu rathen:
Er fährt, er läuft durch Busch und Saaten,
Er drückt sich oft, so gut er kann;
Doch alle Hunde schlagen an.
Er rennt, und setzt durch Forst und Stege:
Sein Absprung aber hilft ihm nicht.
Doch endlich kömmt, auf einem Wege,
Sein Freund, das Pferd, ihm zu Gesicht.
Er sagt: Dies tolle Hetzenreuten
Scheint meinen Tod mir anzudeuten.
Doch nimmt mich nur dein Rücken auf,
So spürt kein Stöber meinen Lauf.
Das Pferd versetzt: Mein Herr, ich sehe
Des Unfalls Größe noch nicht ein.
So mancher Freund ist in der Nähe,
Und jeder wird behilflich sein.
Die Treu‘ erleichtert Müh‘ und Bürde;
Sie wissen, wie ich dienen würde:
So aber wohnt nicht weit von hier
Ein ungleich stärkrer Freund, der Stier.
Er eilt durch Haide, Busch und Hecken,
Und fleht den Stier um Rettung an.
Der spricht: Ich will nur frei entdecken,
Warum ich dir nicht helfen kann.
Du kennest meiner Freundschaft Triebe;
Jedoch die Freundschaft weicht der Liebe.
Dort läßt sich meine Schöne sehn.
Du mußt zu jener Ziege gehn.
Die Ziege hört des Hasen Klagen,
Mit angenommner Traurigkeit,
Und hält, ihm alles abzuschlagen,
Sich zu der Ausflucht schon bereit.
Sie meckert: Dich jetzt aufzunehmen,
Wird jenes Schaf sich bald bequemen.
Dir ist ja seine Gutheit kund.
Mir, leider! ist der Rücken wund.
Der Arme flieht mit bangen Schritten,
Sucht, und erreicht das ferne Schaf,
Das, unbewegt bei seinen Bitten,
An Furcht den Flüchtling übertraf.
Es klagt: Vor Feinden dich zu schützen,
Wird meine Schwäche wenig nützen.
Ich zittre ja so sehr, als du;
Doch eile jenem Füllen zu.
Das sprach: Wenn wir jetzt Beistand hätten,
So trotzt‘ ich gerne der Gewalt.
Ich bin zu jung, dich zu erretten,
Und mein Herr Vater ist zu alt.
Ich sehe schon die Hunde kommen:
Nur frischen Muth und Lauf genommen!
Doch, wenn dein Tod uns trennen soll,
Geliebter Hänsel, fahre wohl!
Friedrich von Hagedorn