Das Frühstücksbrot
Einst kam in Regen und Sturmgebraus
Mein kleiner Bub aus der Schul‘ nach Haus,
Rief atemlos schon von draußen her:
„Mutter! Gib Brot, mich hungert sehr!“
„Was, hast du das ganze Ränzel geleert?“
Wahrhaftig, er hatte alles verzehrt.
Zwei Schnitte[n] mit Butter, ein Äpflein rot,
Und solch‘ ein App’tit wie bei Hungersnot?
„Dass Dich, due Kleiner, hat’s so geschmeckt?“
„Ja!“ tönt es leise. Im Buche versteckt
Hält er die Augen; weiß wohl, dass er lügt –
Bis plötzlich die Wahrheit über ihn fliegt.
Er streichelt mir bittend über die Hand,
Das Auge so fragend mir zugewandt:
„O Mutter, schilt nicht; mein Frühstücksbrot
„Gab ich einem Jungen, er klagte mir Not!
„Hat keinen Bissen sechs Wochen lang,
„Der Vater ist tot, die Mutter so krank,
„Drum gab ich mein Frühstück dem Bettelkind;
„War’s bös‘ oder gut, so sag es geschwind!“
Ich drückte mit Tränen ihn an meine Brust:
„Du hast getan, mein Kind, was du musst;
„So wisse, nur den unser Herrgott liebt,
„Der recht von Herzen den Armen gibt.
„Und solltest im Leben du irren, mein Sohn,
„Gott lenkt dein Geschick von seinem Thron.
„Mit dem Brote, das du dem Knaben gereicht,
„Gott einst deine Fehler vergebend streicht.“
Johanna Ambrosius