Das Blümchen Wunderhold
Es blüht ein Blümchen irgendwo
In einem stillen Thal;
Das schmeichelt Aug’ und Herz so froh
Wie Abendsonnenstrahl;
Das ist viel köstlicher als Gold,
Als Perl’ und Diamant:
Drum wird es »Blümchen Wunderhold«
Mit gutem Fug genannt.
Wol sänge ich ein langes Lied
Von meines Blümchens Kraft,
Wie es am Leib und am Gemüth
So hohe Wunder schafft.
Was kein geheimes Elixir
Dir sonst gewähren kann,
Das leistet traun mein Blümchen dir!
Man säh’ es ihm nicht an.
Wer Wunderhold im Busen hegt,
Wird wie ein Engel schön.
Das hab’ ich, inniglich bewegt,
An Mann und Weib gesehn.
An Mann und Weib, alt oder jung,
Zieht’s wie ein Talisman
Der schönsten Seelen Huldigung
Unwiderstehlich an.
Auf steifem Hals ein Strotzerhaupt,
Das über alle Höhn
Weit, weit hinauszuragen glaubt,
Läßt doch gewiß nicht schön.
Wenn irgend nun ein Rang, wenn Gold
Zu steif den Hals dir gab,
So schmeidigt ihn mein Wunderhold
Und biegt dein Haupt herab.
Es webet über dein Gesicht
Der Anmuth Rosenflor
Und zieht des Auges grellem Licht
Die Wimper mildernd vor.
Es theilt der Flöte weichen Klang
Des Schreiers Kehle mit
Und wandelt in Zephyrengang
Des Stürmers Poltertritt.
Der Laute gleicht des Menschen Herz,
Zu Sang und Klang gebaut;
Doch spielen sie oft Lust und Schmerz
Zu stürmisch und zu laut:
Der Schmerz, wann Ehre, Macht und Gold
Vor deinen Wünschen fliehn,
Und Lust, wann sie in deinen Sold
Mit Siegeskränzen ziehn.
O wie dann Wunderhold das Herz
So mild und lieblich stimmt!
Wie allgefällig Ernst und Scherz
In seinem Zauber schwimmt!
Wie man alsdann Nichts thut und spricht,
Drob Jemand zürnen kann!
Das macht, man trotzt und strotzet nicht
Und drängt sich nicht voran.
O wie man dann so wohlgemuth,
So friedlich lebet und webt!
Wie um das Lager, wo man ruht,
Der Schlaf so segnend schwebt!
Denn Wunderhold hält alles fern,
Was giftig beißt und sticht;
Und stäch’ ein Molch auch noch so gern,
So kann und kann er nicht.
Ich sing’, o Lieber, glaub’ es mir
Nichts aus der Fabelwelt,
Wenngleich ein solches Wunder dir
Fast hart zu glauben fällt.
Mein Lied ist nur ein Widerschein
Der Himmelslieblichkeit,
Die Wunderhold auf groß und klein
In Thun und Wesen streut.
Ach! Hättest du nur Die gekannt,
Die einst mein Kleinod war –
Der Tod entriß sie meiner Hand
Hart hinterm Traualtar –,
Dann würdest du es ganz verstehn,
Was Wunderhold vermag,
Und in das Licht der Wahrheit sehn,
Wie in den hellen Tag.
Wol hundert Mal verdankt’ ich ihr
Des Blümchens Segensflor.
Sanft schob sie’s in den Busen mir
Zurück, wann ich’s verlor.
Jetzt rafft ein Geist der Ungeduld
Es oft mir aus der Brust.
Erst wann ich büße meine Schuld,
Bereu’ ich den Verlust.
O was des Blümchens Wunderkraft
Am Leib und am Gemüth
Ihr, meiner Holdin, einst verschafft,
Faßt nicht das längste Lied! –
Weil’s mehr als Seide, Perl’ und Gold
Der Schönheit Zier verleiht,
So nenn’ ich’s »Blümchen Wunderhold«.
Sonst heißt’s – Bescheidenheit.
Gottfried August Bürger