Blick nach innen
Wieder ruf’ich dich mit Weinen,
Komm, o komm, du treuer Hirt!
Unter Dornen, unter Steinen
Hat dein Lämmlein sich verirrt.
O, du bist ja voll Erbarmen,
Guter Hirt, erbarme dich!
Trage mich auf deinen Armen,
Milder Arzt, und heile mich!
Ach, die Torheit und die Sünde
Herrschen noch im Herzen mein,
Was ich denke, was empfinde,
Meint nicht lauter dich allein.
Meine Triebe, falsche Schlangen,
Hintergehn mich noch so oft;
All mein Sehnen, mein Verlangen
Hat nicht bloß auf dich gehofft.
Und doch sollte tiefe Reue
Lebenslang mein Bußkleid sein,
Und es sollten Lieb’und Treue
Ewig dir zur Braut mich weihn.
Denn die Torheit früher Jugend
Hab‘ ich nie genug verflucht,
Und der Demut stille Tugend
Hab‘ ich nie mit Ernst gesucht.
Doch fortan mein ganzes Leben,
Lust und Schmerzen, Fried‘ und Streit,
Will ich dir nun ganz ergeben:
Führe mich, ich bin bereit.
Ja, du führst in Lieb‘ und Gnade
Mich an deiner treuen Hand,
Führest mich auf sicherem Pfade
In dein ewig Friedensland. Amen.
Berlin, 1818.
Luise Hensel