Auf den Tod meines Graupapageis
Süßes Brüderchen Gottes,
mein kleiner Madagaskarpapagei,
du Federschächtlein List,
du Thomas unter den Vögeln,
ewig zitternden Argwohnes voll
gegen alles, was fremd in unsere Stube trat;
du unbestechlicher Wächter
mit dem immer wachenden Blick
und dem hellen, warnenden Schrei,
nun bist auch du gestorben!
Mitten aus dem Frieden deiner Gitterstäbe
schlich sich deine treue Seele
über Nacht ganz leise
zu einer anderen lieben Toten hin.
Du hattest nur ein graues Röcklein an,
gar schlicht und unscheinbar,
aber darunter verbargst du
ein rotes, heißes Herz.
Das winkte oft aus deinen Augen
und sang aus deinem Schnabel
uns zu:
„Menschen habt mich ein wenig lieb,
ich bin ja ein verzauberter Prinz,
einer aus dem Geschlechte Harun al Raschid,
das auch den Kalifen Storch zeugte!“
Und wir hatten dich lieb,
sehr lieb, kleiner Napoleon,
wie dich die tote Herrin oft nannte,
mit Unrecht, denn dein verwittertes
Schopenhauergesichtchen
hatte nichts vom Ausdruck jenes Titanen.
Dagegen saßest du oft
so weise, ingrimmig da,
wie der Frankfurter Plato,
und spucktest verächtlich, wie er,
die Menschen an,
die du aber gerade darum,
gleich deinem weisen Vorbilde,
seltsam tief liebtest, mein kleiner, toter Freund.
Wenn sich einmal alle Gräber auftun werden
und wir alle zu Gott hinströmen,
die ewige Fülle seines Geistes zu genießen,
ganz in Liebe und mit allem versöhnt,
was einst kleinlich und dunkel
uns bis in des Grabes Stille folgte.
Dann wirst du mein Madagaskarpapagei
neben mir und den Meinen flattern
und dein Schopenhauergesichtchen wird verklärt sein
von dem Licht der Liebe des dritten Reiches.
Brüderchen Gottes, Lebwohl,
auf Wiedersehen!
Alfons Petzold