An die Liebe
Holde Liebe, welchen Jüngling du
Dir zum Freund erkoren,
Dem wird jeder Augenblick zur Ruh
Und zum Glück geboren!
Fröhlich sieht sein blühendes Gesicht
Jeden Tag entstehen;
Fröhlich sieht er ihn im Purpurlicht
Wieder untergehen.
Alle Vögel singen ihm im Hain
Süße Melodieen;
Jedes Blümchen wünscht ihm schön zu sein,
Und für ihn zu blühen.
Jede Rose fühlet süße Lust,
Die sein Finger pflücket;
Weil er sie an die geliebte Brust
Seines Mädchens drücket.
Süße Freude trinkt er mit dem Blut
Von des Weingotts Reben;
Von beglückten Träumen, wenn er ruht,
Ist sein Haupt umgeben.
Sein Erwachen ist ein Übergang
Zu beglücktern Scenen;
Heiter eilt er, unter Lustgesang,
In den Kreis der Schönen –
Aber, welche Stunden voller Schmerz
Drohn des Jünglings Leben,
Der umsonst sein jugendliches Herz,
Göttin, dir ergeben!
Ihm verlängert jeder Augenblick
Sich zu bangen Stunden!
Mit den Kinderjahren ist das Glück
Ewig ihm verschwunden.
Thränen fließen ihm im bangen Traum
Von den blassen Wangen,
Und er sieht die Morgensonne kaum
Am Olympus prangen.
Hoffnungslos sieht er den Winter fliehn
Und den Schnee verschwinden;
Traurig schleicht er durch den Frühling hin,
Kann ihn nicht empfinden.
Sieht mit kaltem Blick die junge Flur
Sich allmählich färben;
Halberstorbne Blümchen pflückt er nur,
Wünscht, wie sie, zu sterben.
Jedes Mädchen lockt ihm Thränen ab,
Das dem seinen gleichet;
Jeden Hügel wünscht er sich zum Grab,
Wo er einsam schleichet.
Die geliebte kleine Nachtigall
Singt ihm Grabelieder;
Endlich sinkt er, wie im Sonnenstrahl
Welke Blumen, nieder.
Seine Seele, die der Liebe Joch
Jahrelang getragen,
Irrt um das geliebte Mädchen noch,
Und zerfleußt in Klagen.
Göttin Liebe! Will es mein Geschick,
Daß auch ich dir diene;
O so lächle mir mit holdem Blick,
Geuß in Daphnens Miene
Deine milde Flamme, daß sie mir
Sanft entgegen strahle,
Und ich dankbarliche Lieder dir
Jeden Tag bezahle!
Johann Martin Miller, 1771