Der stille Garten
Mir blüht ein stiller Garten
Im schattiggrünen Grund,
Der Blumen da zu warten,
Vergnügt mich manche Stund;
Wird mir mein Haus zu enge,
Der Tag zu trüb und grau:
Flücht‘ ich aus dem Gedränge
In seine Friedensau.
Wenn rings des Schicksals Wetter
Die Saaten mir zerschlug:
Dort säuseln goldne Blätter
In sanfter Lüfte Zug;
Wenn mir voll Neid und Tücken
Die Welt mein Glück zertrat:
Dort mag sie nicht zerknicken
Ein einzig Blumenblatt.
Da blühet noch die Rose
Womit ich einst gespielt,
Als kosend mich im Schoße
Die junge Mutter hielt;
Da wehen Veilchendüfte
Von Lenzen die dahin,
Da säuseln durch die Lüfte
Verklungne Melodien.
Da wandl‘ ich alte Pfade
In meiner Jugend Hain,
Da les‘ ich Gottes Gnade
Auf manch bemoostem Stein,
Und viel geliebte Schatten,
Um die ich heiß geweint,
Sie gehn auf grünen Matten
Aufs neue mir vereint.
Und ob an Leichensteinen
Mein Pfad vorüberführt:
Ich kann so selig weinen,
Von mildem Weg geführt,
Weil sanft von weichem Moose
Der harte Grabstein schwillt,
Und Immergrün und Rose
Das schwarze Kreuz umhüllt.
Ihr Traurigen und Matten,
O kommt in diesen Hain,
In seinen heil’gen Schatten
Vergesset eure Pein,
Hier atmet ihr noch Frieden
Und ungetrübtes Glück,
Der Chor der Eumeniden
Bleibt scheu am Tor zurück.
Und trinkt ihr von der Quelle,
Die dort im Garten springt:
Wird euer Auge helle,
Wird euer Herz verjüngt;
Was euch den Blick umfloren,
Das Herz bedrängen mag:
Ihr fühlt euch neu geboren,
Euch glänzt ein heitrer Tag.
Kämst du im Witwenschleier:
Du wirst zur jungen Braut,
Die dem geliebten Freier
Verschämt ins Auge schaut;
Schleichst du als Greis am Stabe:
Dein Haar wird wieder braun,
Du spielst als froher Knabe
Auf deiner Kindheit Au’n.
Schwämmst du auf öden Meeren,
Umsaust vom rauhen Sturm:
Du darfst die Glocken hören
Vom heimatlichen Turm;
Lägst du in Schuld und Harme
Auf morschem Kerkerstroh:
Du wirst in Mutterarme
Ein Kindlein fromm und froh.
Ja gehn in Not und Sünden
Dir alle Pfade aus:
Du wirst dich heimwärts finden
Ins traute Vaterhaus,
Wenn an des Gartens Schwelle
Du weinend niedersankst,
Aus seiner Wunderquelle
Dir neue Jugend trankst. –
Was ist der Gnade Locken
Nach dem verlornen Sohn?
Von alten Heimatglocken
Ein halbverwehter Ton!
Was macht dein Auge rinnen,
Wenn du in Reue weinst?
Ein schmerzliches Besinnen
Ach! auf ein selig „Einst!“
Was ist im tiefsten Innern
Der Weisheit höchster Fund?
Ein blitzendes Erinnern
An aller Dinge Grund!
Was ist in Freudenstunden
Der Seele reinstes Glück?
Ein Flug nur auf Sekunden
Zu ihrem Quell zurück!
Was ist der Weltgeschichte,
Der Gotteswege Schluss?
Das Ziel, dahin sich richte
Der Zeiten Strom und Fluss?
Zurück muss er sich winden,
Dahin, woher er floss,
Und seinen Ursprung finden
In seines Schöpfers Schoß!
Drum geh ich gern zum Garten
Im stillen grünen Grund,
Der Blumen da zu warten,
Vergnügt mich manche Stund;
Betrübte macht er fröhlich,
Und Greise macht er jung,
Und Sünder macht er selig,
Er heißt E r i n n e r u n g .
Karl von Gerok