Im Frühling (Julius Sturm)
Der Berge Gipfel glühen
Im Frühlingssonnenstrahl,
Und blaue Veilchen blühen
Im morgenfrischen Tal,
Und während durch die Klüfte
Die Nacht noch träumend zieht,
Tönt durch die heitern Lüfte
Das erste Frühlingslied.
Da schüttelt von den Schweingen
Mein Geist den Traum der Nacht,
Er hört die Lerche singen
Und fühlt sich froh erwacht,
Und hat sich schon erhoben
Mit mächt’gem Flügelschlag,
Um dankbar Gott zu loben
Am ersten Frühlingstag.
Nun wird die Erde wieder
An tausend Wonnen reich,
Voll Blumen und voll Lieder
Dem Garten Eden gleich.
Man fühlet allerorten
Den Atem Gottes wehn
Und sieht die goldnen Pforten
Des Himmels offen stehn.
Doch zieht ein ernstes Mahnen
Wehmütig durch die Brust,
Ob uns auf allen Bahnen
Umrauscht die Frühlingsluft.
Ach! flüchtig sind die Lose,
Die uns der Lenz beschied,
Am Rain verwelkt die Rose,
Am Hain verstummt das Lied.
Einst wird für alle Frommen,
Die fest dem Herrn vertraun,
Ein ew’ger Frühling kommen
Auf ewig grünen Au’n,
Wo unter blüh’nden Palmen
Der Strom des Lebens rauscht,
Auf Harfenspielt und Psalmen
Das Ohr der Sel’gen lauscht.
Julius Sturm