Die Wahrsagerin
Abgesessen, ausgespannt,
Schmutziger Karren, magere Pferde,
Bunte Sippschaft, sonnverbrannt,
Freies Volk der freien Erde.
Bei der Brücke vor dem Dorf,
Grabenlängs bei Dorn und Nessel
Lagern sie, und überm Torf
Brodelt schon der alte Kessel.
Die Zigeuner! Alles rennt,
Groß und klein, das Pack zu sehen.
Wenn man auch die Schelme kennt,
Kann man doch nicht widerstehen.
Und kaum ist das Dorf zur Stell,
Wird auch schon die Schar lebendig,
Halb Geschnatter, halb Gebell,
Schmierige Weiber, bettelhändig.
Eine, vor den ändern laut,
Trägt ein Kind auf ihren Armen,
Das aus lauter Lumpen schaut,
Blaß und mager zum Erbarmen.
Und der reichen Bauerfrau,
Die im Haufen sich vergessen,
Zeigt das Kind sie: „Mutter schau
Nix zu wärmen, nix zu essen!“
Kurz weist sie die Bäuerin ab,
Hart in jungen Mutterschmerzen,
Denn ihr Kleines liegt im Grab
Und die andre kann eins herzen.
Doch das braune Hungerweib
– Futter, Futter in die Raufen! –
Rückt ihr näher auf den Leib.
Hei, wie kann die Zunge laufen!
„Sag ich wahr! Aus Hand! Viel Guts!“
Fingert sie mit Frechgeberden,
Und die andre, üblen Muts,
Duldets, um sie los zu werden.
Und nun stehen Hand in Hand,
Blick in Blick die beiden Frauen.
In der Zukunft dunkles Land
Sieht man nur mit leisem Grauen.
Doch jetzt flackt ein Schelmenlicht
Aus den schwarzen Inderaugen,
Und die schnelle Zunge spricht:
„Ei, das mag der Frau schon taugen!
Kleines Kindchen übers Jahr,
Rote Bäckchen, blonde Löckchen,
Blaue Äuglein, hell und klar,
Und ein warmes Wollenröckchen.“
Und sie zeigt den eigenen Wurm,
Seine Lumpen von ihm deckend,
Ungewollt den Herzenssturm
In der andern Brust erweckend:
Blonde Löckchen, Augen blau,
Weiß und rot die runden Wangen –
Weinend trägt die Bauerfrau
Nach dem toten Kind Verlangen.
Und durch Tränen sieht sie jetzt
Sich den Bettelbalg verschönen,
Fühlt ihr Mutterherz zuletzt
Mit dem Weib sich auch versöhnen.
In die Tasche langt sie, schenkt,
Reicher hat sie nie gegeben.
Jene, die den Blick gesenkt,
Kann ihn nur beschämt erheben.
Wortlos dankt sie, kehrt zurück,
Bei den Männern hinzuliegen,
Und ihr lebend Mutterglück
Zärtlicher im Arm zu wiegen.
Doch der eine, dem das Tier
Kräftiger auf der Stirn geschrieben,
Fragt mit stummer Augengier:
Hat das Feld heut Frucht getrieben?
Ob sies hingibt, ob versteckt?
Wie das blanke Geldstück flimmert!
Wenn er ihren Schatz entdeckt,
Hat sie nur ihr Los verschlimmert.
Da! so ruft sie rauh und hart.
Doch bevor ers aufgefangen,
Lacht sie schon nach Schelmenart:
„Gans ist doch auf Leim gegangen!“
Gustav Falke