Kalender
Januar
Der Reiche klappt den Pelz empor,
und mollig glüht das Ofenrohr,
Der Arme klebt, daß er nicht frier,
sein Fenster zu mit Packpapier.
Februar
Im Fasching schaut der reiche Mann
sich gern ein armes Mädchen an.
Wie zärtlich oft die Liebe war,
wird im November offenbar.
März
Im Jahre achtundvierzig schien
die neue Zeit heraufzuziehn.
Ihr, meine Zeitgenossen wißt,
daß heut noch nicht mal Vormärz ist.
April
Wer Diplomate werden will,
nehm sich ein Muster am April.
Aus heiterm Blau bricht der Orkan,
und niemand hat’s nachher getan.
Mai
Der Revoluzzer fühlt sich stark.
Des Reichen Vorschrift ist ihm Quark.
Er feiert stolz den ersten Mai.
(Doch fragt er erst die Polizei.)
Juni
Mit Weib und Kind in die Natur,
zur Heilungs-, Stärkungs-, Badekur.
Doch wer da wandert bettelarm,
den fleppt der würdige Gendarm.
Juli
Wie so ein Schwimmbad doch erfrischt,
wenn’s glühend heiß vom Himmel zischt!
Dem Vaterland dient der Soldat,
kloppt Griffe noch bei dreißig Grad.
August
Wie arg es zugeht auf der Welt,
wird auf Kongressen festgestellt.
Man trinkt, man tanzt, man redet froh,
und alles bleibt beim status quo.
September
Vorüber ist die Ferienzeit.
Der Lehrer hält den Stock bereit.
Ein Kind sah Berg und Wasserfall,
das andre nur den Schweinestall.
Oktober
Zum Herbstmanöver rücken an
der Landwehr- und Reservemann.
Es drückt der Helm, es schmerzt das Bein.
O welche Lust, Soldat zu sein!
November
Der Tag wird kurz, die Kälte droht.
Da tun die warmen Kleider not.
Ach wärmte doch der Pfandschein so
wie der versetzte Paletot.
Dezember
Nun teilt der gute Nikolaus
die schönen Weihnachtgaben aus.
Das arme Kind hat sie gemacht,
dem reichen werden sie gebracht.
Erich Mühsam