Der Zauberleuchtturm
Des Zauberers sein Mägdlein saß
in ihrem Saale rund von Glas;
sie spann beim hellen Kerzenschein
und sang so glockenhell darein.
Der Saal, als eine Kugel klar,
in Lüften aufgehangen war
an einem Turm auf Felsenhöh’,
bei Nacht hoch ob der wilden See,
und hing in Sturm und Wettergraus
an einem langen Arm hinaus.
Wenn nun ein Schiff in Nächten schwer
sah weder Rat noch Rettung mehr,
der Lotse zog die Achsel schief,
der Hauptmann alle Teufel rief,
auch der Matrose wollt’ verzagen:
O weh mir armen Schwartenmagen!
Auf einmal scheint ein Licht von fern
als wie ein heller Morgenstern;
die Mannschaft jauchzet überlaut:
Heida! jetzt gilt es trockne Haut!
Aus allen Kräften steuert man
jetzt nach dem teuren Licht hinan,
das wächst und wächst und leuchtet fast
wie einer Zaubersonne Glast,
darin ein Mägdlein sitzt und spinnt,
sich beuget ihr Gesang im Wind;
die Männer stehen wie verzückt,
ein jeder nach dem Wunder blickt
und horcht und staunet unverwandt,
dem Steuermann entsinkt die Hand,
hat keiner acht mehr auf das Schiff;
das kracht mit eins am Felsenriff,
die Luft zerreißt ein Jammerschrei:
Herr Gott im Himmel, steh uns bei!
Da löscht die Zauberin ihr Licht;
noch einmal aus der Tiefe bricht
verhallend Weh aus einem Mund;
da zuckt das Schiff und sinkt zu Grund.
Eduard Mörike