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    Des fremden Kindes heiliger Christ Friedrich Rückert (1788-1866)

    Es lauft ein fremdes Kind
    Am Abend vor Weihnachten
    Durch eine geschwind,
    Die Lichter zu betrachten,
    Die angezündet sind.

    Es steht vor jedem Haus
    Und sieht die hellen Räume,
    Die drinnen schaun heraus,
    Die lampenvollen ;
    Weh wird’s ihm überaus.

    Das Kindlein weint und spricht:
    „Ein jedes Kind hat heute
    Ein Bäumchen und ein
    Und hat dran seine ,
    Nur bloß ich armes nicht.

    An der Geschwister Hand
    Als ich daheim gesessen,
    Hat es mir auch gebrannt;
    Doch hier bin ich
    In diesem fremden Land.
    Lässt mich denn niemand ein
    Und gönnt mir auch ein Fleckchen?
    In all den Häuserreih’n
    Ist denn für mich kein Eckchen,
    Und wär‘ es noch so klein?

    Lässt mich denn niemand ein?
    Ich will ja selbst nichts haben,
    Ich will ja nur am Schein
    Der fremden Weihnachtsgaben
    Mich laben ganz allein.“

    Es klopft an Thür und Thor,
    An Fenster und an Laden;
    Doch niemand tritt hervor,
    Das Kindlein einzuladen,
    Sie haben drin kein Ohr.

    Ein jeder Vater lenkt
    Den Sinn auf seine Kinder;
    Die Mutter sie beschenkt,
    Denkt sonst nichts mehr noch minder;
    Ans Kindlein niemand denkt.

    „O, lieber heil’ger Christ!
    Nicht Mutter und nicht Vater
    Hab‘ ich, wenn du’s nicht bist;
    O, sei du mein Berater,
    Weil man mich hier vergißt!“

    Das Kindlein reibt die Hand,
    Sie ist von Frost erstarret;
    Es kriecht in sein Gewand,
    Und in dem Gässlein harret,
    Den Blick hinaus gewandt.

    Da kommt mit einem Licht
    Durchs Gässlein hergewallet
    Im weißen Kleide schlicht
    Ein ander Kind; – wie schallet
    Es lieblich, da es spricht:

    „Ich bin der heil’ge Christ,
    War auch ein Kind vordessen,
    Wie du ein Kindlein bist;
    Ich will dich nicht vergessen,
    Wenn alles dich vergisst.

    Ich bin mit meinem Wort
    Bei allen gleichermaßen;
    Ich biete meinen Hort
    So gut hier auf den Straßen
    Wie in den Zimmern dort.

    Ich will dir deinen Baum,
    Fremd Kind, hier lassen schimmern
    Auf diesem offnen Raum,
    So schön, dass die in Zimmern
    So schön sein sollen kaum.“

    Da deutet mit der Hand
    Christkindlein auf zum ,
    Und droben leuchtend stand
    Ein Baum voll Sterngewimmel
    Vielästig ausgespannt.

    So fern und doch so nah‘,
    Wie funkelten die Kerzen!
    Wie ward dem Kindlein da,
    Dem fremden, still zu Herzen,
    Das seinen Christbaum sah!

    Es ward ihm wie ein Traum;
    Da langten hergebogen
    Englein herab vom Baum
    Zum Kindlein, das sie zogen
    Hinauf zum lichten Raum.

    Das fremde Kindlein ist,
    Zur Heimat nun gekehret
    Bei seinem heil’gen Christ;
    Und was hier wird bescheret,
    Es dorten leicht vergisst.

    (1788-1866)






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