Wintergedicht von Gottfried Keller (19. Juli 1819 – 15. Juli 1890)
Wie zieht das finster thürmende
Gewölk so kalt und schwer!
Wie jagt der Wind, der stürmende,
Das Schneegestöber her!
Wo sonst die Venus funkelte,
Ist es nun grau und todt;
Ich denk‘ mir in’s verdunkelte
Westland das Abendroth.
Verschwunden ist die blühende
Und grüne Weltgestalt;
Es eilt der Fuß, der fliehende,
Durch’s Schneefeld, naß und kalt.
Wohl dem, der nun zufrieden ist
Und innerlich sich kennt!
Dem warm ein Herz beschieden ist,
Das heimlich loh’t und brennt!
Wo, traulich sich dran schmiegend, es
Die stille Seele schürt,
Ein sprudelnd, nie versiegendes
Gedankensüpplein rührt.
Gottfried Keller
19. Juli 1819 – 15. Juli 1890