Herbst von Gottfried Keller
Im Herbst, wenn sich der Wald entlaubt,
Nachdenklich wird und schweigend,
Mit Reif bestreut sein dunkles Haubt,
Fromm sich dem Sturme neigend:
Da geht das Dichterjahr zu End‘,
Da wird mir ernst zu Muthe,
Im Herbst nehm‘ ich das Sakrament
In jungem Traubenblute.
Da bin ich stets beim Abendroth
Allein im Feld zu finden,
Da denk‘ ich fleißig an den Tod
Und auch an meine Sünden.
Ich richte mir den Beichtstuhl ein
Auf ödem Haidenplatze,
Der Mond, der muß mein Pfaffe sein
Mit seiner Silberglatze.
Und wenn er grämlich zögern will,
Der Last mich zu entheben,
Dann ruf‘ ich: «Alter, schweig‘ nur still!
Es ist mir schon vergeben.
Ich habe heimlich mit dem Tod
Ein Wörtlein schon gesprochen!»
Dann wird mein Pfaff‘ vor Aerger roth
Und hat sich bald verkrochen.
Gottfried Keller
19. Juli 1819 – 15. Juli 1890