Das Brautkleid
Die Flur hat angezogen
Ein grünes seidenes Kleid,
Die leichten schillernden Falten
Umfliegen sie weit und breit.
Und unter der flatternden Hülle
Schlägt ihre warme Brust,
Die Winde wollen sie kühlen
Und verglühen sich selber in Lust.
Es zucken die Sonnenstrahlen
Herunter mit blitzendem Brand,
Als möchten sie gern ihr versengen
Das neidische grüne Gewand.
Sie ruft: »Ihr Strahlen, ihr Winde,
Mein Kleid laßt unversehrt!
Es ward von meinem Liebsten
Zum Brautschmuck mir beschert.
Der Mai, so heißt mein Liebster,
Er gab es zu tragen mir,
Er sprach: ›Du sollst es tragen,
So lang ich bleibe bei dir.
Und wenn ich von dir scheide,
So werd es gelb vor Gram,
Dann laß es von den Menschen
Dir ausziehn ohne Scham.
Und leg als nackte Witwe
Dich nieder mit deinem Leid,
Bis daß ich wiederkehre
Und bring ein neues Kleid.‹«
Wilhelm Müller